Im alpinen Hochtal Engadin im Südosten der Schweiz wurde ein Gebirgsbach auf Grund seiner besonderen Eigenschaften für die Wissenschaft bedeutsam. Der sogenannte Ova Lavirun ist nur etwa fünf Kilometer lang und erstreckt sich nicht weit entfernt von der italienischen Grenze talabwärts bis zum Mündungsfluss Ova Chamuera. Ova Lavurin entspringt auf einer Höhe von rund 2720 Metern über dem Meeresspiegel. Ungewöhnlich sind hierbei Streckenabschnitte, in welchen das Wasser weiß erscheint, was durch eine Verfärbung des Bachgesteins zustande kommt. Dies ist ein Naturphänomen, welches durch neue Erkenntnisse von Forschenden um Christoph Wanner vom Institut für Geologie der Universität Bern erklärt werden kann.
Bei der Färbung handelt es sich um das nanokristalline Aluminium-Hydroxysulfat, welches in einer weißen Schicht am Bachbett aufliegt. Diese ist im Abschnitt zwischen zwei Zuflüssen des Ova Lavirun sichtbar und variiert zwischen einer Schichtdicke von wenigen Mikrometern bis zu 2 Millimetern. Dabei handelt es sich um einen durch geologische Faktoren bedingten Prozess, sodass die Ausflockungen durch anthropogene (menschengemachte) Einflüsse auszuschließen sind. Schon lange war dieses Phänomen im Labor bekannt, in der Natur konnte es bisher jedoch noch nicht beobachtet werden. Seit der Veröffentlichung dieser Entdeckung und zunehmenden Medienberichten rund um Ova Lavirun meldeten sich mehrere Anwohner mit der Information weiterer Standorte, an denen dieses Phänomen beobachtet wurde. Unter anderem im Kanton Graubünden sowie in den italienischen und österreichischen Alpen wurden mehrere Orte mit "weißen" Gebirgsbächen gemeldet. Wanner und sein Team reisten daraufhin zu drei Standorten in Graubünden und konnten durch eine Probenentnahme bestätigen, dass es sich um denselben Prozess handelt. Eine Gefahr geht laut Wanner nicht von diesen Bächen mit säurehaltigem Wasser aus, da die Gebirgsbäche alle in schwer erreichbaren Regionen liegen und nicht für die Trinkwasserversorgung verwendet werden. Die erhöhten Werte werden durch den Zufluss von anderen Bächen so weit verdünnt, dass das Wasser in tiefer gelegenen Regionen ohne Bedenken für den Konsum geeignet ist. Dennoch betont Wanner, dass man bereits jetzt eine Prognose über die Qualität des Wassers an allen bekannten Standorten treffen sollte, da insbesondere durch den Klimawandel und das weitere Auftauen von Permafrost diese von Änderungen betroffen sein könnte.
Damit es zur Entstehung des weißen Gesteins kommen kann, sind mehrere Faktoren essentiell. Entscheidend ist einerseits das niedrige Gefälle am Quellbereich des „Ova Laviruns“, andererseits der Zufluss von einem Nebenbach in dessen Hauptlauf und das Vorkommen von Pyrit (FeS2) im Gestein. Das schwache Gefälle lässt das Wasser deutlich langsamer fließen. Somit kann das im Bachgestein vorhandene Pyrit, ein häufig vorkommendes Mineral, schneller oxidieren. Dabei bildet sich Schwefelsäure, welche den pH-Wert des Wassers auf bis zu 4,5 herabsetzt. Das nun saure Wasser kann verstärkt Silikate lösen, wodurch Aluminium-, Calcium- und Magnesium-Ionen aus dem Bachgestein freigesetzt werden. Durch den Zufluss eines Calciumhydrogencarbonat-reichen, pH-neutralen Baches wird der ionenhaltige, saure Hauptlauf langsam neutralisiert und die Löslichkeit des Aluminiums herabgesetzt. Es bildet sich der weiße Aluminium-Niederschlag, der das Gestein des Bachbetts mit einer weißen Schicht überzieht. Genauere Untersuchungen durch eine Röntgenstrukturanalyse zeigten, dass es sich bei dem Aluminium-Niederschlag um das Aluminiumsilikat Basaluminit [Al4(OH)10(SO4) ⋅ (H2O)3-5] handelt. Parallel konnte ein erhöhter Gehalt an toxischem Arsen in den Ablagerungen festgestellt werden. Da das Wasser des Gebirgsbachs nur einen geringen Anteil aufweist, ist aus den Untersuchungen zu schließen, dass aufgrund des Basaluminits Arsen gebunden und somit aus dem Wasser gefiltert werden kann. Dieses Phänomen könnte somit nicht nur für Arsen, sondern auch auf weitere Giftstoffe erweitert werden und dadurch eine Alternative zur herkömmlichen Wasseraufbereitung bieten.