Atombindung (kovalente Bindung)
Die überwiegende Mehrheit der chemischen Verbindungen hat nicht die Eigenschaften eines ionischen Kristalls. Während ionische Substanzen aufgrund ihrer starken elektrostatischen Kräfte exakt strukturierte, kristalline Festkörper bilden, die einen hohen Schmelzpunkt aufweisen, können durch kovalente Bindungen Substanzen in Form von Gasen, Flüssigkeiten oder Festkörpern entstehen. Anders als bei der ionischen Bindung, können auch Bindungspartner mit geringer Elektronegativitätsdifferenz eine kovalente Bindung eingehen. Auch bei dieser Bindungsart sind beide Bindungspartner bestrebt, eine Edelgaskonfiguration ihrer Valenzschalen zu erreichen, jedoch nicht, indem sie Elektronen freigeben oder sie ihrem Bindungspartner entreißen wie bei der Ionenbindung. In der kovalenten Bindung verhalten sich die Bindungspartner tatsächlich partnerschaftlich - sie teilen sich ihre Elektronen und bilden dabei Elektronenpaare . Im Unterschied zu den ionischen Verbindungen weisen sie in der Regel einen viel niedrigeren Schmelzpunkt auf. Viele solcher Stoffe wie etwa Benzin verflüchtigen sich leicht, ebenso viele sind in ihrer festen Form formbar (z.B. Kunststoffe).
Die Gemeinsamkeit der kovalenten Verbindungen ist, dass sie aus Nichtmetallatomen bestehen, die untereinander Bindungen eingehen. Man spricht von kovalenten Bindungen (Atombindungen) . Diese Verbindungen heißen Moleküle (und nur diese Ionenverbindungen sind strenggenommen „Formeleinheiten“).
Betrachten wir zur Erläuterung der Bindungsmechanismen das einfachste Beispiel einer kovalenten Verbindung , nämlich das Wasserstoffmolekül H2 : Jedes einzelne Wasserstoffatom hat ein Elektron im 1s-Orbital, wobei der Atomkern im Zentrum des kugelförmigen Orbitals liegt. Kommen sich die beiden Atome nahe genug, überlappen deren 1s-Orbitale und bilden in Folge zwischen den beiden Atomkernen eine Elektronenwolke hoher Ladungsdichte aus. Zwar stoßen sich die positiv geladenen Kerne untereinander ab, jedoch bewirkt die Elektronenwolke eine hohe negative Ladungsdichte im Zwischenbereich und zieht die Kerne zu sich an. Als Ergebnis sind die elektrostatischen Wechselwirkungen in Summe anziehend, sodass die Bindung bestehen bleibt. Dieses Prinzip lässt sich auch auf das Verhalten von mehr als zwei Atomen anwenden, die auf diese Weise wechselwirken wie z.B. einem Sauerstoff und zwei Wasserstoffatomen im Wassermolekül (vgl. Abb.1).
Abb. 1: Zwei Einfachbindungen im Wassermolekül
Aus dem Themengebiet "Periodensystem" wissen wir bereits, dass die Nichtmetalle im Periodensystem auf der rechten Seite stehen. Das heißt auch, dass diese Elemente eine hohe (also „negative“) Elektronegativität aufweisen. Anders gesagt, sie haben eine starke Neigung, Elektronen anzuziehen.
Damit wirft sich die Frage auf, wie denn diese Elemente durch eine kovalente Bindung die Oktettregel verwirklichen wollen, wo doch jedes der beiden Elemente dem anderen Elektronen entziehen will.
Um auf die richtige Spur zu kommen, betrachten wir erstmal die Ionenbindung . Da in diesem Fall eine Bindung zwischen Metall- und Nichtmetallatomen entsteht, sind die Unterschiede in den Elektronegativitäten der beiden Bindungspartner sehr groß. Auf der einen Seite werden die Elektronen entzogen, auf der anderen zugeführt. Durch Abgabe und Aufnahme von Elektronen bildet sich eine Ladungsseparation aus.
Bei der kovalenten Bindung hingegen tritt eine TEILUNG der Elektronen auf. Daher stehen die Bindungselektronen beiden Bindungsteilnehmern zu Verfügung und somit kann die Oktettregel erfüllt werden.
Die in der obigen Reaktionsgleichung angewendete Schreibweise wird Valenzstrichformel genannt. Die einzelnen Elektronen, die bindungsfähig sind, werden als Punkte dargestellt. Freie Elektronenpaare sind mit Strichen gekennzeichnet.
Eine spezielle Form der kovalenten Bindungen ist die sogenannte koordinative Bindung. Dabei stammen die Bindungselektronen nur von einem der beiden Bindungspartner. Dieser wird dabei als Donator bezeichnet und derjenige mit Elektronenmangel als Akzeptor.
Um ein Elektronenoktett zu bilden, bedarf es oft mehrerer Elektronenpaare. Die Zahl der kovalenten Bindungen, an denen ein Atom in einem Molekül beteiligt ist, ergibt sich meistens aus der Zahl der Elektronen, die noch fehlen, um den Zustand des nächsten Edelgases zu erreichen (Oktettregel). Da bei den Nichtmetallen die Zahl der Hauptgruppe N gleich der Anzahl an Valenzelektronen entspricht, kann zur Berechnung der Bindungen folgende Näherung verwendet werden:
Nkovalente Bindung = 8 - N
N… Anzahl der Valenzelektronen des Atoms []
Zwei Bindungspartner können demnach miteinander mehr als nur eine Bindung ausbilden. Man spricht dann von Mehrfachbindungen . Üblich sind außer Einfachbindungen auch Doppel- und Dreifachbindungen, die aus jeweils 2 bzw. 3 Elektronenpaaren bestehen. Beispiele dafür sind das N2 -Molekül, welches eine Dreifachbindung eingeht oder auch das aus einer Doppelbindung bestehende S2 - Molekül. Kohlenstoffverbindungen mit nur Einfachbindungen heißen Alkane, welche mit mindestens einer Doppelbindung heißen Alkene und welche mit mindestens einer Dreifachbindung Alkine.
Abb. 2:Dreifach- und Zweifachbindungen
Es gilt außerdem, dass mit zunehmender Bindungsanzahl und abnehmendem Atomradius die Bindungslänge abnimmt .
Die nachfolgende Tabelle beschreibt dieses Phänomen.
H–F
H–Cl
H–Br
H–I
92 pm
128 pm
141 pm
160 pm
C–C
C=C
C≡C
N–N
N=N
N≡N
154 pm
134 pm
120 pm
146 pm
125 pm
110 pm
Wie man aus der obigen Tabelle entnehmen kann, gibt es nicht nur kovalente Bindungen zwischen Bindungspartnern des gleichen Elements (unpolare kovalente Bindung). H-Cl und H-F sind Beispiele für Verbindungen, die aus unterschiedlichen Elementen bestehen. In diesen Fällen haben wir es also mit kovalenten Bindungspartnern zu tun, welche nicht dieselben Elektronegativitäten aufweisen. Somit entstehen in solchen Molekülen Partialladungen , die eine Ladungsverschiebung zur Folge haben. Diese Elektronegativitätsdifferenzen reichen aber bei Weitem nicht an die die Verhältnisse in ionischen Verbindungen heran. Es entsteht eine polare kovalente Bindung , wobei die Polarität umso stärker ist, je größer der Unterschied (Δ) der Elektronegativitäten der Elemente ist. Das Molekül selbst ist dann ein Dipol (es besteht aus einem positiven sowie negativen Pol mit der Partialladung δ+ (delta positiv) bzw. δ- (delta negativ)), wie die nachfolgende Abbildung zeigt.
Abb. 3: Erhöhung der Elektronennegativität führt zur Erhöhung der Elektronendichte
Um Lewis-Formeln auf die Oktettregel richtig abstimmen zu können, muss die Gesamtzahl der Valenzelektronen so auf bindende und einsame Elektronenpaare aufgeteilt werden, dass jedes Fluor-Atom von acht Elektronen und jedes Wasserstoff-Atom von zwei Elektronen umgeben ist. Die Anzahl der Elektronen , die an Bindungen beteiligt ist, kann man durch Aufzeichnen der Verbindung gut erkennen (siehe Abb 3).
Die Stärke einer kovalenten Bindung wird an der Bindungsenthalpie gemessen. Sie ist so groß wie die molare Enthalpieänderung beim Aufbrechen einer bestimmten kovalenten Bindung. Zum Bruch einer solchen Bindung wird der Umgebung Energie entzogen, darum trägt die Bindungsenthalpie einen positiven Wert .
Es gilt: Je mehr Energie zum Brechen einer Bindung benötigt wird, desto mehr Bindungen werden zwischen zwei Atomen ausgebildet.
ΔHEinfachbindung < ΔHDoppelbindung < ΔHDreifachbindung
Nicht zuletzt zum Verständnis der Chemie des Kohlenstoffs, der wir uns in den Kapiteln zum Kohlenstoff, zur organischen Chemie und bei den Naturstoffen widmen, müssen wir uns einige kovalente Bindungen mit Hilfe des Valence-Bond -Modells genauer anschauen.
Nur positive Überlappungen der Orbitale führen zu einer höheren Elektronendichte zwischen den Atomkernen, die zu einer Bindung führt. Im einfachsten Fall entsteht bei Überlappung ein gemeinsames Molekülorbital wie bei den zwei s-Orbitalen im H2 -Molekül oder den überlappenden hantelförmigen p-Orbitalen zweier Fluor-Atome. Die vorliegende Bindung nennt man dann σ-Bindung .
Wie wir in den Kapiteln zum PSE gelernt haben, kann der Kohlenstoff 4 gleichwertige kovalente Bindungen eingehen. Wie kann das sein? Betrachten wir die Elektronenschalen des Kohlenstoffs, ergibt sich uns die Konfiguration 1s2 2s2 2p2 , das heißt: die 2s-Unterschale ist voll besetzt, 2 p Orbitale sind halb besetzt und ein p Orbital ist gar nicht besetzt. Wie sollen so 4 gleichwertige Bindungen z.B. mit 4 H-Atomen im Methan (CH4 ) zustande kommen? Wenn ein Kohlenstoff-Atom 4 gleiche Bindungen eingehen soll, müssen erst zwei Prozesse ablaufen:
Promotion : Ein Elektron wird im Zuge der Bindung angeregt, so dass sich in allen p-Unterschalen mindestens ein Elektron befindet, 1s2 2s1 2p3 .
Abb. 4: Promotion
Damit ist das Problem jedoch noch nicht gelöst! Würden jetzt 4 H-Atome binden, so würden 3 s-p-σ-Bindungen und eine s-s-σ-Bindung entstehen, keineswegs gleichwertig! Die Lösung ist die Hybridisierung:
Hybridisierung : dieser Vorgang beschreibt die Verschmelzung von einzelnen Orbitalen zu metaphorisch verzerrten gleichwertigen Hybridorbitalen.
Man unterscheidet dabei sp3 -, sp2 -, und sp-Hybridisierung, je nachdem wie viele Orbitale an der Hybridisierung beteiligt sind:
sp3 -Hybridisierung: ein s- und drei p - Orbitale zu vier Hybridorbitalen
sp2 -Hybridisierung: ein s- und zwei p -Orbitale zu drei Hybridorbitalen
sp -Hybridisierung: ein s- und ein p -Orbital zu zwei Hybridorbitalen
Abb. 5: grafische Darstellung der Hybridorbitale
In unserem Beispiel CH4 verschmelzen ein s- und drei p-Orbitale zu vier verzerrten, gleichwertigen sp3 -Hybridorbitalen. Sie binden gleich stark mit den verfügbaren s-Orbitalen des Wasserstoffs und lassen durch wechselseitige Abstoßung eine perfekt tetraeder förmige Pyramidenstruktur mit Winkeln von 109,5° (vgl. Abb 4.) entstehen.
Abb. 6: Verschmelzung der Kohlenstofforbitale zu einem sp3 Hybridorbital
Die sp3 -Hybridorbitale können jeweils auch mit den sp3 -Hybridorbitalen anderer Moleküle überlagern. Zum Beispiel können die Hybridorbitale zweier Methylradikale (CH3 ) zu einem Ethanmolekül (C2 H6 ) überlappen und eine sp3 -sp3 -σ-Bindung eingehen.
Das Kohlenstoffatom ist ungemein vielseitig bezüglich der Hybridisierung. Im Zuge der Doppelbindung (z.B. bei Ethen) entstehen sp2 -Hybridorbitale . Es sind also nur zwei der drei p-Orbitale an der Hybridisierung beteiligt, ein p-Orbital bleibt einsam und unverändert zurück.
Treffen jetzt zwei Moleküle, die derart konfiguriert sind, aufeinander, überlagern sich die sp2 -Hybridorbitale zu einer sp2 -sp2 -σ-Bindung und gleichzeitig überlappen auch die übrig gebliebenen p-Orbitale beider Moleküle und bilden eine p-p-π-Bindung . Beachte, dass diese Teilbindung schwächer ist als die σ-Bindungen ! Die gesamte so entstandene Doppelbindung ist außerdem nicht mehr rotations -, sondern nur noch flächensymmetrisch .
Eine Dreifachbindung besteht aus zwei p-p-π-Bindungen und nur einer sp-sp-σ-Bindung . Hier ist also nur je ein sp-Hybridorbital pro Bindungspartner beteiligt.
Die Eigenschaften vieler kovalenter Verbindungen – wie zum Beispiel der Aggregatzustand (Warum ist Wasser flüssig, aber Methan gasförmig, obwohl beide in etwa dasselbe Gewicht aufweisen?) – können auf die räumliche Struktur dieser Moleküle bezogen werden. Dieses Modell der räumlichen Struktur der Moleküle, das unter dem Namen VSEPR-Modell (V alence S hell E lectron P air R epulsion M odel) bekannt ist, basiert – wie der Name schon sagt – auf der Abstoßung der Valenzelektronen untereinander. Dabei wird zwischen bindenden und nichtbindenden Elektronen unterschieden. Das Modell beruht vereinfacht gesagt auf drei Regeln. Deshalb ist es besonders einfach anzuwenden.
1. Regel
Alle Elektronen versuchen möglichst viel Platz für sich in Anspruch zu nehmen.
2. Regel
Nichtbindende Elektronen nehmen mehr Platz in Anspruch als bindende.
3. Regel
Im VSEPR sind Einfach- und Mehrfachbindungen gleichwertig . Sie werden nicht unterschieden.
Die nachfolgenden Abbildungen zeigen Beispiele solcher VSEPR Modelle.
Abb. 4: VSEPR Module
In der linken Abbildung ist das Methanmolekül (CH4 ) dargestellt. Die räumliche Struktur ist die eines Tetraeders mit einem Bindungswinkel von 109,5°. Dieser große Bindungsabstand resultiert aus den fehlenden nichtbindenden Elektronenpaaren (beim Kohlenstoff werden alle Elektronen für die Bindung gebraucht). Anders beim NH3 (mittlere Abbildung), welches wegen des erhöhten Platzbedarfs des freien, nichtbindenden Elektronenpaars (gelb dargestellt) einen Bindungswinkel von 107,8° benötigt. Das H2 O-Molekül ist ein typisches Beispiel eines Moleküls, welches zwei nichtbindende Elektronenpaare aufweist. Der resultierende Bindungswinkel ist der kleinste der drei Darstellungen und beläuft sich auf 104,5°.